Frage 14: Unterschied zwischen Bibliolog und Bibliodrama

Die Bibel ist ein Drehbuch.
Du versteht sie nur, wenn du mitspielst.
Es ist egal, welche Rolle du übernimmst:
ob du an der Rampe spielst
oder im Hintergrund, ob du Held bist
oder Gefangene, ob du Prophetin bist
oder Feldherr, ob du schweigst oder
redest, ob du deine Sätze
hinaussprudelst oder stotterst,
ob du deine Rolle kennst oder
an den Souffleurkasten gehst…

so beginnt ein Gedicht von Wilhelm Bruners, einem katholischen Priester und Bibliodramatiker. Ursprünglich hat er es über „Bibliodrama“ geschrieben, ich finde aber, daß es bis zu dieser Stelle auch für Bibliolog stehen kann. Bibliodrama und Bibliolog stehen in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander.

Bei beiden Zugaängen geht es darum, in den Text als Raum zu verstehen, in diesen Textraum einzutauchen und so Teil der Geschichte zu werden statt – wie in vielen anderen Ansätzen – ÜBER den Text zu sprechen, also in einer Außenperspektive zu bleiben. Eine zweite Gemeinsamkeit zwischen Bibliolog und Bibliodrama wäre, daß es bei beiden um Verlangsamung geht.

Beim Bibliodrama geht es um Texterschließung UND Selbsterfahrung, was längere Zeiträume und kleinere Gruppengrößen bedingt. Beim Bibliolog wird Selbsterfahrung nicht intendiert und thematisiert – außer die Teilnehmenden tun dies von sich aus. Deshalb ist Bibliolog auch in großen Gruppen (auch mit mehreren hundert Teilnehmern) und kürzeren Zeiträumen (zwanzig Minuten) möglich. Ich habe schon mit 180 Teilnehmenden bibliologisch gearbeitet.

Die Rolle des Leiters / der Leiterin ist im Bibliolog sehr viel direktiver. Im Bibliolog wählt immer die Leitung den Text und die Rollen aus. Auch das sonstige Vorgehen ist deutlich strukturierter durch „Echoing“ und „Interviewing“. Beim Bibliolog ist auch das Zuhören eine mögliche Teilnahmeform.

Bibliolog in der Grundform ist ein verbales Geschehen bei dem sich die Teilnehmenden mit biblischen Rollen (Personen, Gegenständen, Eigenschaften, Tieren) identifizieren und als diese sprechen, ihnen quasi Gedanken und Gefühle „leihen“ und zur Sprache bringen. Beim Bibliodrama setzt man sich zu einem biblischen Text in Beziehung indem man ihn ins Spiel bringt und – je nach Bibliodramaansatz – mit unterschiedlichen kreativen Medien arbeitet. Zentraler Bestandteil bibliodramatischen Arbeitens ist auch die Körperarbeit. Im Nachgespräch wird auch die Interaktion in der Gruppe und die Selbsterfahrung thematisiert. Auch ist es möglich, Gegentexte zu spielen, wohingegen ein Bibliolog immer am biblischen Text entlang läuft.

Beim Bibliodrama wählen die Teilnehmenden ihre Rollen selber aus. Auch die Wahl der Gottesrolle ist im Bibliodrama möglich. Im Bibliolog werden wenn überhaupt, dann nur Teilaspekte der Gottesrolle vergeben (Barmherzigkeit Gottes).

Daraus ergibt sich, daß das Erlernen der Bibliodramaleitung zeitaufwendiger (3 Jahre) ist als Bibliolog, dessen Anleitung in der Grundform sich in einer Woche erlernen läßt, wenn man gelernt hat mit Texten zu arbeiten und auch mit schwierigen Gruppensituationen umgehen kann.

Der Dachverband für Bibliodrama ist in Deutschland die „Gesellschaft für Bibliodrama“ (GfB) und für Bibliolog das „Europäische Netzwerk Bibliolog“ (siehe Blogroll). Die Zeitschrift „Textraum“ der GFB, die halbjährlich erscheint, publiziert auch zahlreiche Artikel zum Themenbereich Bibliolog. Es gibt auch ein Themenheft (32/1 aus dem Jahr 2010) zum „Nachdenken über das Verhältnis von Bibliolog und Bibliodrama“, das bei der GfB als Einzelheft bestellt werden kann.

Zum Sprachgebrauch noch ein Hinweis: Was in Deutschland „Bibliolog“ genannt wird, heißt in Amerika Bibliodrama. Das deutsche „Bibliodrama“ läuft in Amerika unter „bibliotherapy“.

Im Deutschlandradio gibt es einen Kurzbeitrag über Bibliodrama (ca 9. Minuten) von Thomas Klatt und zwar hier zum Hören und Nachlesen. Einen Magazinbeitrag von 8 Minuten über den Bibliolog unter dem Titel „in die Lücken des Textes gucken“ findet man auf der Seite vom Deutschlandradio hier

interreligiöse Bibliolog-Werkstatt Oktober bis Dezember 2012

Auch die nächsten Treffen der interreligiösen Bibliolog-Werkstatt 2012 stehen unter dem Thema Feuer und Feuerstellen in der Bibel und finden an folgenden Terminen statt:

Mi 10. Oktober 19.30 h:
Psalm 69: Von verzehrender Leidenschaft und glühendem Zorn – ein bibliologischer Ansatz um auch mit herausfordernden Versen in „Rache“-Psalmen umzugehen statt sie zu verschweigen und auszublenden.

Mi 7. November 19.30 h:
Nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer: Elia am Horeb (1 Könige 19)

Inzwischen ist es eine gute Tradition geworden, daß sich die interreligiöse Bibliolog-Werkstatt mit einem Abend zum jüdischen Lichterfest Chanukka am „lebendigen Adventskalender“ beteiligt – so in diesem Jahr am
Mi 12. Dezember um 19.30 h: Judith und Holofernes; dieses Jahr wird eine jüdische Frauentradition, die unter Jüdinnen in Nordafrika an einem Chanukka-Abend lebendig ist, vorgestellt.

Ort: interkulturelles Stadtteilzentrum Sprengelhaus, Sprengelhaus 15, 13353 Berlin-Wedding (U 9 Amrumer Straße; U 6 Leopoldplatz)

Frage 13: Einstieg in einen Bibliolog

In der letzten Zeit taucht ungewöhnlich oft als Anfrage durch Suchmaschinen „Einstieg in einen Bibliolog“ auf. Leider weiß ich nicht genau, um was es den suchenden Personen geht, denn da gibt es zwei Möglichkeiten:

1. Jemand möchte mit einer Gruppe einen Bibliolog durchführen und sucht nach verschiedenen Möglichkeiten, wie man einer Gruppe Bibliolog als etwas andere Art der Erschließung biblischer Texte nahebringen kann, also wie gestaltet der Bibliologe die „Werbung“ für das, was jetzt statt der Bibelarbeit oder dem Bibelgespräch wie es die Teilnehmenden gewöhnt sind, stattfinden soll so, daß die Teilnehmer sich gerne darauf einlassen und Lust bekommen mitzumachen – oder zumindest nicht stören – und nicht in der Haltung: das-kenne-ich-nicht / was-soll-das-denn / das-haben-wir-noch-nie-so-gemacht an diese für sie neue Form herangehen.

Das wäre eine Frage danach, wie man „die (innere) Bühne für den Bibliolog vorbereitet“, also den Teilnehmenden Mut macht, sie vorbereitet auf das, was statt des Gewohnten kommt und wie man die Spielregeln eines Bibliologs rüberbringt: Was man selber als Bibliologin macht und was sie tun sollen (sich mit Rollen, die man ausgewählt hat, identifizieren und wenn sie mögen sich in dieser Rolle äußern). Wie gestaltet man diesen „Einstieg“ so, daß es möglichst förderlich ist für das, was man mit der Gruppe vorhat und diejenigen, die Widerstände gegen dieses Neue / Andere haben, zumindest diese Widerstände für eine Weile zurückstellen?

Jeder Bibliologe hat seinen eigenen Stil und eine eigene Handschrift, und das ist gut so. Natürlich hängt es ganz wesentlich von der Gruppe und dem Thema ab und ob sie eher experimentierfreudig sind, was neue Formen betrifft oder lieber beim in ihren Augen Bewährtem bleiben. Auch das Alter mag eine Rolle spielen (eine Konfirmanden- oder Bar/Bat-Mizwa-Gruppe im jugendlichen Alter werde ich anders einstimmen und vorbereiten als eine Seniorengruppe mit vielleicht zum Teil dementiell veränderten Teilnehmern).

Ganz allgemein sind kurze und klare Sätze hilfreich um positiv zu beschreiben, was getan bzw. erwartet wird. („Sie brauchen keine Angst zu haben sich zu blamieren, denn alles ist richtig“ wäre wenig hilfreich, denn dadurch werden die Teilnehmenden erst auf die Idee gebracht, man könnte sich blamieren, was beim Bibliolog sowieso nicht der Fall ist.

2. Jemand hat beim Anleiten von Bibliologen die Erfahrung gemacht, daß nach dem Prolog (was ist das und wie geht das) und der Hinführung (vermitteln um welchen Text es geht, Hintergrundinfos, welche die Teilnehmenden brauchen und vorbereiten zum Eintauchen in diesen Text) es dann bei der ersten Frage, mit der der eigentliche Bibliolog beginnen sollte, hackt.

Vorausgesetzt, Prolog und Hinführung waren gut vorbereitet und es hängt an der ersten Frage, dann wäre zu schauen, ob diese erste Frage gut gewählt war. Wurde eine Rolle gewählt, die leicht zur Identifikation einlädt und wurde die erste Frage als Schlüsselfrage so formuliert, daß sie offen ist und unterschiedliche Ebenen anspricht und bündelt (zumindest zwei von den folgenden dreien: emotional / kognitiv / Handlungsebene) und zugleich gut in den Text und das Geschehen hineinführt?

Schade ist, wenn jemand gut in den Text und in die biblische Welt hineinführt und die erste Frage dann völlig gegen den Text und dessen Erzählstruktur läuft: Bei einem Bibliolog über Samuel und Eli im Heiligtum von Schilo befragt jemand nach der anschaulichen Schilderung der Situation von Samuel im Schilo als erstes Hanna, die Mutter von Samuel, die bei der Geschichte gar nicht dabei ist, sondern weit weg wohnt, wie sie es findet, daß ihr Sohn Samuel so weit weg von ihr bei Eli im Heiligtum von Schilo ist.

Zum Abschluß bietet sich noch die Frage an: Woran scheitern die meisten Bibliologe, wenn sie nicht gut laufen? oder: Warum wird Bibliolog in manchen Gruppen nicht gut angenommen und kann man da was tun? Das wäre nochmal ein eigenes Posting wert.

Wenn Bibliologe total schief laufen, hängt es meiner Erfahrung nach meist damit zusammen, daß die Anleitenden nicht sehen, wie komplex ein Bibliolog ist, daß und was genau man intensiv vorbereiten muß und davon ausgehen, man kann das eben mal so nach eigenem Erleben und Lektüre machen ohne es gelernt zu haben. Möglicherweise wurde auch ein Text ausgewählt, der nicht für einen Bibliolog geeignet ist oder zumindest zu diesem Zeitpunkt für diese Gruppe nicht geeignet ist. Das würde zum Stichwort „Textauswahl“ gehören.

Eine weitere Möglichkeit: Der Text paßt – in dieser Situation – nicht zum Bibliologen. Beispiel: Eine Bibliologin hat einen Bibliolog zu einer Heilungsgeschichte vorbereitet. Einige Stunden vor der Durchführung des Bibliologs hat sie von der Krebsdiagnose ihres Partners erfahren. Einen Plan B für ihre Veranstaltung hatte sie nicht. In dieser Situation war sie mit der Durchführung eines Bibliologs überfordert, weil sie gar nicht in der Lage war, sich gut in die Teilnehmeräußerungen einzufühlen, sie wahrzunehmen und wiederzugeben.