Am Di 4. Oktober um 19.30 h findet das nächste Treffen der interreligiösen Bibliolog-Werkstatt statt. Letztes Mal haben wir mit dem Buch Ruth begonnen und das erste Kapitel ausgelegt. Bei der Vorbereitung dieses Bibliologs hat mich ein Vortrag der israelischen Psychoanalytikerin Ora Dresner, der auf der jüdisch-christlichen Bibelwoche 2006 in Haus Ohrbeck gehalten wurde, zu einer etwas anderen Sichtweise angeregt. In Trauer und Verlust und der Lebenszyklus im Buch Ruth liest Ora Dresner mit psychoanalytischem Instrumentarium das Buch Ruth als innere Welt der Noemi.
Wie kommt man zu diesem Ansatz? Nach der Hinführung im 1. Kapitel, in der geschildert wird, daß Elimelech mit seiner Frau Noemi, den Söhnen Machlon und Kiljon wegen einer Hungersnot nach Moab auswanderte, die Söhne sich moabitische Frauen (Orpa und Ruth) nahmen, Elimelech, Machlon und Kiljon starben, steigt der Text in Vers 6 folgendermaßen ein:
Und sie machte sich auf, sie und ihre Schwiegertöchter, und kehrte aus dem Gebiet3 von Moab zurück. Denn sie hatte im Gebiet4 von Moab gehört, dass der HERR sein Volk heimgesucht habe, um ihnen Brot zu geben
Und aus diesem „sie“, das sich auf Noemi bezieht, leitet die psychoanalytisch orientierte Bibelauslegung ab, daß Noemi die Hauptperson ist, und das Buch Ruth als eine Art Traumtext der Noemi gelesen werden kann. Das heißt dann, daß „Ruth“ und „Orpa“ nicht nur – auf der personalen Ebene – die Schwiegertöchter der Noemi sind, sondern auch auf der Objektebene als innere Repräsentanten von Tendenzen der Noemi gesehen werden können: Ruth, die es nach Bethlehem zieht – Orpa, die sich unterwegs entschließt nach Moab zurückzugehen. Ich habe den Aufsatz von Ora Dresner weitergedacht und daraus Fragen für den Bibliolog entwickelt, die das erste Kapitel im Buch Ruth durch diese psychoanalytisch inspierierte Lesart vertiefen. Am Schluß des Abends und des ersten Kapitels sind wir ziemlich ausführlich der Bitterkeit der Noemi nachgegangen. Das erste Kapitel endet mit der Bitterkeit der Noemi als sie zur Zeit der Gerstenernte in Bethlechem (Brothausen) ankommt:
Sie aber sagte zu ihnen: Nennt mich nicht Noomi, nennt mich Mara! Denn der Allmächtige hat mir sehr bitteres Leid zugefügt. Voll bin ich gegangen, und leer hat mich der HERR zurückkehren lassen. Warum nennt ihr mich Noomi, da der HERR gegen mich ausgesagt und der Allmächtige mir Böses getan hat?
An dieser Stelle werden wir dann beim nächsten Treffen einsetzen. Auch wer beim letzten Mal noch nicht dabei war, kann gerne dazukommen. Jeder Abend ist in sich abgeschlossen. Man braucht keinerlei Vorkenntnisse, weder zur Bibel noch andere. Auch wer zuhören möchte, ist herzlich willkommen. Für die Raumnutzung wird am Schluß des Abends um ein Unkostenbeitrag nach Selbsteinschätzung gebeten.
Treffpunkt ist um 19.30 h im Sprengelhaus, Sprengelstrasse 15 (Berlin Wedding).
Wir sind im Gymnastiksaal – erster Hof links Erdgeschoß rechte Seite.
Falls sich mit dem Raum etwas ändert, sind Sie auf jeden Fall auf der sicheren Seite, wenn Sie den „Bibliolog“-Wegweiserpfelen folgen. Wegen eines anderen Termins werde ich dieses Mal erst einige Minuten vor Veranstaltungsbeginn eintreffen.
Bibliolog befragt und erforscht die Torah, aber auch prophetische und Weisheitstexte des Tanach (hebräische Bibel) – in christlichen Gruppen auch die Evangelien, Apostelgeschichte und Briefe des Neuen Testaments – und antwortet aus heutiger Sicht auf sie. Diese Antworten suchen wir als Teilnehmende gemeinsam und jede/r für sich in einem Prozeß. Wir begeben uns in den Text hinein, versetzen uns in unterschiedliche beteiligte Personen der Bibel und ihre Erfahrungen und erweitern und vertiefen so unsere Sichtweisen.
Die Rabbinen sprechen vom schwarzen und vom weißen Feuer. Das schwarze Feuer ist der geschriebene Text, die Buchstaben in der Torahrolle oder im Buch. Das weiße Feuer ist das Dazwischen, was angedeutet wird und nicht ausgesprochen wird. Im Bibliolog gehen wir in die Zwischenräume des weißen Feuers bringen so das schwarze Feuer (immer wieder) neu zum Sprechen: Für uns, für heute, für jetzt. Wir bringen damit den Text in Resonanz zu unserem Leben und lassen ihn neu Gestalt annehmen, ringen ihm neue Bedeutungen ab.
Im Bibliolog treffen zwei Welten aufeinander: Die Welt der biblischen Personen und unsere eigene innere Welt. Durch den Bibliolog finden wir unsere Stimmen im Text und die Stimmen des Textes in uns. All das tun wir liebevoll und mit Respekt für die verschiedenen Auslegungstraditionen aus unterschiedlichen Zeiten und in der Offenheit für Anregungen aus Psychologie, Geschichte, Archäologie, Ethnologie, Literaturwissenschaft, Sozialwissenschaft, textkritischen Ansätzen
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Warum es im Internet keine Vorlagen oder Entwürfe für Bibliologe gibt
schwarzes Feuer – weißes Feuer